So, damit man nicht ständig Spoilertags auf- und zuklicken muß, mal ein eigenes Thema.
Ich nehms gleich vorweg, meine Meinung zum Film ist eine negative. Der Film hat für mich zwar nicht funktioniert, aber das darf jede/r für sich selbstverständlich anders empfinden.
An den Kinobesuch bin ich nicht wirklich neutal herangegangen mit all den Befürchtungen, die schon im Raum standen, aber ich bin doch davon ausgegangen, dass das Gesamterlebnis mit seiner epischen Optik und dem Soundtrack einen beim ersten Sehen trotzdem überwältigt und mitreißt. Ein fader Nachgeschmack würde sich erst nach einer Weile einstellen, wenn man so viel geistigen Abstand gewonnen hat, dass man differenzierter über den Film nachdenken kann. So war es mir mit Star Wars: Episode 1 gegangen. Nach vielen Jahren wird ein Franchise wieder aufgegriffen, dessen Original irgendwo ein naives Vergnügen war, das auch seine massiven Macken hatte, wenn man zu genau darüber nachdenkt, aber das einfach Spaß gemacht hat und einen emotional genau an den richtigen Stellen anzupacken wußte. Nicht zu vergessen, dass es filmisch brilliant war und einen neuen Meilenstein der Kinogeschichte gesetzt hatte. Ich bin damals nach E1 erst einmal überglücklich und überrumpelt aus dem Kino gekommen und hab eine Weile gebraucht, um mich durchzuwurschteln. Und dann kam Attack of the Clones… aber dazu später. Der Punkt ist, dieses Gefühl hat sich bei TLK2019 gar nicht erst eingestellt. Ich hab den gefühlsmäßigen Einstieg in den Film nicht gefunden, und jedes Mal, wenn ich kurz davor war, ist irgendwas passiert, dass ich ihn wieder verloren habe.
Positives
Um Dinge aufzuzählen, die mir gefallen haben, wäre natürlich erst einmal die Optik zu nennen. Der Realismus war absolut beeindruckend! So etwas hat es wirklich noch nicht gegeben. Da darf man als Furry und Raubkatzenfan doch einen verträumten Seufzer tun, denn das ist eigentlich die Art Film, die man nie für möglich gehalten hätte, von der technischen Machbarkeit einerseits, andererseits dass ein Studio überhaupt willens wäre, diesen Aufwand für einen reinen Tierfilm „für Erwachsene“ zu betreiben.
Vom Soundtrack muß ich gar nicht erst anfangen.
Etliche der originelleren Einfälle im Film fand ich auch ehrlich spannend. Nalas Flucht vom Königsfelsen zum Beispiel, weil man die ganz unvoreingenommen neu auf sich wirken lassen konnte. Die grundsätzliche Idee, die Hyänen als matriarchalischen Gegenentwurf zu Mufasas Königreich zu etablieren, mit Shenzi als grusliger und halbwegs kompetenter Anführerin, war ebenfalls klasse.
Es gab einige gute Lacher, insbesondere von Timons und Pumbaas Seite. Timon hat mir als Character ohnehin mit am besten gefallen. Bis auf Scar und Rafiki waren die meisten Sprecher gut aufgelegt, und insbesondere Beyoncé als Nala hat die Erwartungen weit übertroffen.
Und jetzt kommt ein Haufen Kritik.
Fehlende Mimik
Auf dem Thema wurde im Internet schon genug rumgeritten, dass jeder weiß, worum es geht. Die Löwen im Film schauspielern sogar noch unter den Möglichkeiten von echter Katzenmimik, wozu es auch eindrucksvolle Vergleichsbilder gibt. Beim Schauen des Films gewöhnt man sich irgendwann an den Stil, bei mir so ungefähr ab der zweiten Hälfte. Aber ganz verschwunden ist die Befremdung nie, insbesondere wenn Szenen aus dem Original 1:1 übernommen werden, wo alles, aber auch wirklich alles an einem gezeichneten Gesichtsausdruck gehangen hat. Am schlimmsten fand ich es, als Mufasa Simba nach dem Elefantenfriedhof zur Rede stellt. Simba zeigt während der ganzen Szene einfach null Reaktion, Mufasa sieht ihm nicht ins Gesicht, und Mufasas Gesicht wird auch nicht gezeigt. Die gesamte Szene fällt einfach flach.
Fast genau so übel ist es, als Simba seinen toten Vater später in der Schlucht findet. Der Synchronsprecher gibt sich richtig Mühe – wie Simba klingt, geht ans Herz… aber das steht in einem so grotesken Mißverhältnis zu seiner nicht vorhandenen Mimik, dass es lustig wäre, wenns nicht so traurig wäre.
Später bei den Songs „Hakuna Matata“ und „Can you feel the love tonight“ spielt die Musik auch vergeblich gegen ziemlich teilnahmslose gerenderte Darsteller an. Der Unterschied von dem, was man hört, zu dem, was man sieht, war für mich verstörend und hat meine Immersion kaputtgemacht.
Lasches Voiceacting
„You see, he lives, in you.“, gefolgt von einem fast hörbaren Schulterzucken, hat mich schon im Trailer entsetzt, und leider werden viele wichtige Sätze so behandelt. Scar und Rafiki sind hier die größten Sünder, aber nicht die einzigen. Dinge, die bedeutungsschwanger sind und eine dramatische Pause brauchen, um zu wirken, werden dahergesagt und dann unter noch mehr Geplapper begraben, dazu später mehr.
Fragmente des Originals
Das Remake schafft es nicht, für sich zu stehen, weil es sich zu sehr an das Original klammert. Um den Film zu verstehen, muss man das Original kennen, und das heißt wiederum, dass man beide auch ständig miteinander vergleicht. Es werden viele Dinge übernommen, aber aus dem Zusammenhang gerissen und so zusammengeklebt, dass der Film an sich nicht glatt fließt.
Zum Beispiel Simbas „I laugh in the face of danger!“, was er nur sagt, damit es von den Hyänen beantwortet wird. Im Remake… nichts. Oder Rafikis Stab… entschuldigung, ich meinte Knüppel. Den darf er am Anfang nicht haben, weil es „unrealistisch“ ist (egal ob es damals eine bewußte Entscheidung war, ihm als einzigem Charakter ein Prop zu geben, um zu verdeutlichen, was an ihm besonders ist). Dann holt er den Stock in einer dramatischen, viel zu langen Szene hervor, damit man als Publikum denkt „Yay das erkenne ich wieder!“ und statt der coolen Kung-Fu-Szene kloppt er nur ziemlich lahm auf die Hyänen ein. Das wär auch mit jedem rumliegenden Ast gegangen, so X-beliebig wie das rüberkam.
Ein weiteres Beispiel ist die Musik. Auf CD hört sich der Soundtrack zum neuen Film wunderbar. Aber in Kombination mit dem Bild hakt es an allen Ecken und Enden. Die Musik ist immer noch auf den Originalfilm getimed, aber das Remake macht daraus nichts. Die Musik erreicht einen dramatischen Akzent, im Film passiert zu diesem Moment aber gar nichts. Das ist, besonders wenn man den Originalfilm so in- und auswendig kennt, sehr anstrengend.
Kaputtes Timing
Der Originalfilm war in Sachen Timing perfekt. Jede Handlung hat maximalen Eindruck hinterlassen. Der neue Film ist fast immer zu hektisch. Es wird durch Szenen durchgehetzt und zu früh weggeschnitten, bevor ich auch nur eine Chance hatte, für eine Sekunde ein Gefühl zu entwickeln. Es wirkt wie das Abhaken einer To-do-Liste. Fertig, nächste. Fertig, nächste. Dann die Animation an sich. Wenns um das realistische Aussehen und Bewegen der Tiere ging, hat das Feeling gestimmt, aber wenn es darum ging, zu schauspielern, hat das entscheidende Etwas gefehlt. Vielen Gesten, sogar Kämpfen, fehlte einfach der „Wumms!“ Es gab kaum starke Keyframes wie im Original; die Bewegungen sind so vorbeigeplätschert. An manchen Stellen hats gestimmt, zum Beispiel während Mufasa bei Simba unten in der Schlucht war, da hat man jeden Aufprall gespürt. Aber ansonsten kam einfach keine Power und kein Elan rüber. Andere Szenen wurden dem vermeintlichen Realismus geopfert. Beispielsweise als Scar Sarabi angreift. Ja, es ist vielleicht nicht realistisch, dass eine Löwin nach einem Prankenhieb zu Boden geht, aber wenn die beiden sich einfach nur kurz kabbeln wie im Remake und sich dann wieder gegenüberstehen, kommt nicht so recht rüber, warum diese Szene wichtig sein sollte. Und war irgendjemand nicht irritiert, als Rafiki sich mit Babysimba einfach gemütlich hingesetzt hat?
Erklärungssucht
Ein anderer Aspekt von kaputtem Timing war wie oben erwähnt das Zerreden von guten Szenen. Allem wird noch irgend eine Erklärung nachgeschoben, bis es auch der letzte halbschlafende Zuschauer verstanden hat. Das schwächt nicht nur das Gewicht der guten, cleveren Dialoge, die meist aus dem Original übernommen wurde, sondern ich fühlte mich als Publikum auch ziemlich schnell genervt. Als würde jemand, mit dem man sich unterhält, ständig seine eigenen Witze erklären. Irgenwann will man denjenigen nur noch anfahren. Das Planting und Payoff wird dermaßen mit dem Holzhammer betrieben! Nachdem das im Kino eine Weile so ging, stellte sich bei mir ein vages, gequältes Gefühl des Unwohlseins ein, das mir aber irgendwie bekannt vorkam. Nach kurzem Überlegen fiel mir auch ein, woher: Das war genau die Art, wie George Lucas die fürchterlichen Dialoge in Attack of the Clones und Revenge of the Sith geschrieben hat. Alles hatte eine Bedeutung und eine Begründung, fühlte sich aber maximal gekünstelt und sperrig an. Das Ende von RotS, wo schnell erklärt wird, wie Padme rasch noch die Babynamen vergibt und dann plotbedingt stirbt, Yoda nun ins Exil gehen muss und die Babies getrennt aufwachsen müssen, Qui Gon praktischer Weise zwischendurch die Geisterscheinung gelernt hat? Der ganze erzwungene Plot mit Anakins Mutter und folglich seine Angst davor, dass seine Freundin stirbt, und Zitatperlen wie „From my perspective, the Jedi are evil!“, „You were my brother, Anakin! I loved you!“ – „I HATE YOU!!!!“ und „UNLIMITED POWAAAR!!!!“ Genau das gleiche Gefühl. Das beschreibt es für mich am besten.
Bei manchen dieser unnötigen Erklärungen spielte noch eine weitere Nuance mit hinein. Es gibt einen tollen Review von der Neuauflage von „Die Schöne und das Biest“ von Lindsay Ellis, einer Filmwissenschaftlerin auf Youtube. Sie zeigt sich darin wenig begeistert davon, dass alle Disney-Neuverfilungen zu „self-aware“ sind, soll heissen, versuchen, möglichst gezielt auf alle Kritikpunkte einzugehen, die Leute über das Original geäußert haben und diese möglichst offensichtlich zu befriedigen. Dies gebe Onlinenörglern viel zu viel Gewicht und führe auch zu ziemlich vielen fehlgeleiteten Reparaturversuchen, die im Endeffekt einen schwächeren, inkonsistenteren Film verursachen. TLK2019 ist gespickt davon. Einige haben mir persönlich aber gefallen. Zum Beispiel, als Mufasa mehr darauf eingeht, was es bedeutet, ein König der Tiere zu sein. Dass es darum geht, zu schützen und zu geben, was etwas unheimlich edles ist. Dass die Beutetiere davor Respekt haben und sich davon Herrschaft ableitet, geht mir tatsächlich viel besser runter als das, was man im Zeichentrickfilm erfährt oder auch nicht. Die Hyänen etwas mehr zu emanzipieren, hatte wie gesagt auch schönes Potenzial. Daraus ist dann aber leider nicht viel mehr geworden.
Das Motto beim Filmemachen sollte nach allgemeiner Auffassung sein „Show, don’t tell!“ Beim Trickfilm hat sich vieles aus dem Ungesagten ergeben und der Rest aus der Mimik der Charaktere. Eben dem, was man selbst fühlt, nicht nur hört. Nicht so beim Remake. Alles, was diese unablässigen Erklärungen an Genervtheit bei mir aufgebaut haben, kulminierte leider beim Wortgefecht zwischen Scar und Simba, wo all die Payoffs dann abgearbeitet wurden. Die Handlung „Sohn glaubt er habe Vater getötet, hat er aber gar nicht“ ist jetzt nicht so interessant, dass man Debatten darüber hören möchte. Tatsächlich war ich zu dem Zeitpunkt emotional so uninvolviert, dass ich nur wollte, dass die sich endlich zuende auskeksen und es aufhört. Dass ich über TLK überhaupt so denken könnte, war eine traurige und ernüchternde Erkenntnis.
Kein Herz
Aber nicht nur da hat der Film an Gefühl eingebüßt, so dass sich diese Welt im Endeffekt fade und kühl anfühlte. Etliche Charaktere wurden emotional ziemlich kastriert.
Pumbaa. Das tut weh. Remake-Pumbaa ist witzig, keine Frage. Aber was er nicht ist, ist Simbas Familie. Kein glaubhaftes Mitgefühl mit dem armen kleinen Waisenkind, keine elterliche Liebe. Wir als Publikum sollen das voraussetzen, weil wir das Original kennen, aber im Film selbst wird es nicht etabliert. Bei Timon fällt die Veränderung auch auf, aber bei Pumbaa halt noch viel mehr.
Dass Hakuna Matata jetzt eine entsetzliche nihilistische Philosophie der Vergeblichkeit allen Seins ist, das unausweichlich auf einen ebenfalls bedeutungslosen Tod zusteuert, hilft der Sache sicherlich auch nicht weiter. Es ist keine hundertprozentig schlecht gewählte Veränderung, denn sicher können viele Erwachsene sich mit solchen Gedanken mehr identifizieren, als ihnen lieb ist. Die Träume der Kindheit vergehen, und man akzeptiert eine desillusionierte Zukunft, die man nicht ändern kann und findet einen gewissen Frieden darin, dass man ehrlich mit sich ist… man ist bezogen aufs Große und Ganze ein Nichts. Als Simba von Scar gezwungen wird, diese Worte zu sagen, hat mich das schon angerührt. Was mich aber aufregt ist, wie sehr Timon und Pumbaa Simba diese Weltsicht eingedrillt haben. Das ist für mich einfach nur pervers. Online wurde ja über den Trickfilm immer wieder gesagt, dass Timon und Pumbaa ein schlechter, ja, furchtbarer Einfluss auf Simba waren, aber im Remake sind sie richtige Schurken und ihre Erziehung von Simba ist regelrechter Kindesmißbrauch. Wie konnte Disney nur so etwas zynisches und gehässiges mit dem Film machen?
Mufasa. In der Szene, wo er Simba „eine Lektion erteilt“ und ihm vorwirft, auch Nala in Gefahr gebracht zu haben, erklärt er dies sogleich damit „the future of the pride“ zu gefährden. Dies ist ein weiterer Bezug auf die Obszession mit „Mufasa’s Blutlinie“ die sich (treffend) wie ein roter Faden durch die erste Hälfte des Films zieht. Verzeihung, f*cking was?! Der Vater-Sohn-Moment, wo Mufasa sein Innerstes offenbart, den ängstlichen, sensiblen Vater unter dem großen starken Löwen, wird runtergezogen auf das Niveau egoistischer Vererbungsfragen? Statt der innigen Liebe zwischen Vater und Kind geht’s um Machtverhältnisse? Klar würde Mufasa Simba auch mal erklären, dass ein männlicher Löwe sein Rudel beschützen muss, weil sonst Rivalen u.a. die Jungtiere massakrieren, aber diese Szene war weder Zeit noch Ort dafür. Der Zuschauer weiß von selbst, wie das in der Natur funktioniert, und Mufasa wirkt dadurch nur wie ein Mistkerl.
Und wie soll man sich das mit der Blutlinie ohnehin vorstellen? Ist Simba Mufasas einziges Cub und alle anderen sind von Scar? Werden Kinder mit Löwinnen außer Sarabi nicht zur Blutlinie gezählt? Ist Simba Mufasas einziges männliches Junges und in diesem Szenario geht die Herrschaft nur von Vater auf Sohn über? Hätte man das nicht einfach alles weglassen sollen?
Alles in allem kam mir der Film so unstimmig vor, dass ich nicht viel Freude daran hatte. An dem Kinobesuch war das beste die geteilte Nostalgie mit meinen Freunden und die Erinnerung daran, wie das Original uns alle zusammengebracht hat.
Ich werde TLK2019 eher nicht noch einmal im Kino sehen, aber sicher noch häufig auf Blu Ray. An einige Dinge werde ich mich gewöhnen, bis sie mir gar nicht mehr auffallen (wie damals bei Simba’s Pride), andere Dinge werden vielleicht im Laufe der Zeit eher noch stärker negativ herausstechen (wie bei den Star Wars Prequels). Aber insgesamt wird der Film wahrscheinlich nur als kurioses Anhängsel des Originals weiterexistieren. Zu ambitioniert, um ihn zu ignorieren, zu schlecht gemacht, um für sich allein zu stehen.
So, das war meine Texttapete, danke fürs Lesen. Würde natürlich auch gern eine positive ausführliche Meinung zum Vergleich hören.